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Austellung Crazy Christmas im Bayerischen Nationalmuseum

26.10.2023-28.01.2024

Weihnachtszeit im Bayerischen Nationalmuseum ist Krippenzeit. Die Hauptrolle spielt in diesem Jahr aber nicht die traditionelle Krippenkunst. Vielmehr rücken wir unseren spektakulären Bestand an modernen, famos-bunten, teils riesigen, teils winzigen Künstlerkrippen des 20. und 21. Jahrhunderts in den Vordergrund.

Comic trifft auf Kubismus, Pop-Art auf Surrealismus. Ungewohnte Perspektiven und unterhaltsame Gestaltung lassen das Thema Weihnachtskrippe in einem aktuellen Licht erscheinen und bieten gleichzeitig einen optischen Hochgenuss. Den Künstlern, darunter der Münchner Akademieprofessor Anton Hiller, der Bildhauer Peter Sauerer, der Aktionskünstler Rupert Stöckl, und der Grafiker Walter Tafelmaier, geht es bei aller Verfremdung, visuellen Herausforderung und mitunter Zumutung dennoch um den Inhalt der christlichen Weihnachtsgeschichte.

Mit freundlicher Unterstützung von Dürr OHG, Hohenfurth und Schmidt-Lebkuchen GmbH & Co. KG, Nürnberg

Jesus wird in einer Baustelle geboren

Bayerisches Nationalmuseum

„Jesus wird in einer Baustelle geboren“, „Konsumkrippe“, „Knastkrippe“ oder „Tankstellenkrippe“ heißen die bekannten Arbeiten des Holzschnitzers Rudi Bannwarth (*1962). Dabei ist nicht nur die Namensgebung für die einzelnen Krippen des in Ettlingweier bei Karlsruhe tätigen Künstlers überraschend. Die an moderne Sehgewohnheiten andockenden architektonischen Kulissen in den szenischen Arrangements seiner Krippen, die vorrangig urbane Räume vermitteln, kombiniert Bannwarth mit sehr stilisierten, aber plakativ-lebensnah angelegten Figuren. Dargestellt sind einerseits stereotype Charaktere, wie wir sie aus den Medien, vom Hörensagen, aber auch aus unserer eigenen Verwandtschaft oder Nachbarschaft kennen bzw. wiedererkennen (können). Andererseits bildet er bewusst konkrete Personen aus seinem Umfeld, die niemand außerhalb Ettlingenweiers erkennt, oder Persönlichkeiten aus der Politik und dem Kunst- und Kulturbetrieb ab. Der Künstler bevorzugt für seine Krippenbilder Darstellungen, die sich auf die Anbetung des Hirten bzw. des Volkes und somit im weitesten Sinn auf die Überlieferungen des Lukasevangeliums (2, 1–20) beziehen. Königlich wird es bei ihm in doppeltem Wortsinn eher am Rande.

Den kreativen Umgang mit dem Werkstoff Holz erlernte Rudi Bannwarth als Schreiner, bevor er zwischen 1985 und 1988 an der Fachschule für Holzschnitzerei 1988 in Berchtesgaden eine klassische Holzbildhauerausbildung erhielt. Seine Kunstfertigkeit vervollkommnete er anschließend zwei Jahre lang als Geselle bei dem zeitgenössisch als bester Oberammergauer Meister geltenden Josef Fux (*1938), der in den frühen 1990er Jahren zahlreiche Entwürfe internationaler Künstler wie Jeff Koons (*1955) ausführte.

Seit etwa 1990 setzt sich Rudi Bannwarth als Künstler mit dem Sujet Krippenfiguren auseinander. Seine frühen Figuren sind traditionell gehalten und folgenden klassischen Darstellungsmodi. Erst in den späten 1990er-Jahren erhielt er durch eine vom Pfarrer zu St. Dionysius in Ettlingenweier (Lkr. Karlsruhe) initiierte Auftragsarbeit den entscheidenden Impuls zur Gestaltung „moderner“ Krippenfiguren, wie er selbst sagt.

Rudi Bannwarths in den Medien pointiert in „Baustellenkrippe“ umgetaufte plastische Umsetzung des heiligen Geschehens zur Weihnachtszeit ist sein bislang bekanntestes und größtes Krippenbild. Es misst rund sechs Meter in der Breite, 1,4 m in der Höhe und ist rund 60 cm tief. Die Größe seiner elf Figuren für dieses Werk orientiert sich am Maß einer aufrecht stehenden erwachsenen Person mit 50 bis 55 cm für einen Mann, 45 bis 55 cm für eine Frau und 30 bis 45 cm für einen Jugendlichen; Sitzende sind dementsprechend niedriger und Tiere maßstäblich passend dimensioniert. Sein bevorzugtes Arbeitsmaterial ist Lindenholz, das besonders gut zu behauen ist, wobei er in der Beherrschung dieses Materials auch eine Verbindung zur traditionellen Holzbildhauerkunst sieht. Er versteht sich eher als Kunst schaffender Handwerker, denn als Künstler, der sich handwerklicher Techniken bedient. Die farbige Fassung seiner Figuren geht auf halbluzide Lasuren zurück, die er verwendet, um semitransparente Oberflächen zu erhalten, die es den Betrachterinnen und Betrachtern noch ermöglichen, die natürliche Maserung des Holzes zu erkennen.

Das Krippenbild spielt vor dem Hintergrund einer unbestimmbaren, etwas heruntergekommen wirkenden Hochhaussiedlung entlang einer durch entsprechende Beschilderung als solche markierten Einbahnstraße. Aktuell wird an dieser Straße gebaut, vielleicht entsteht ein neues Hochhaus oder es finden Kanalisationsarbeiten statt – dies ist nicht genau auszumachen, weil es dem Künstler vorrangig darum ging, den Charakter und die Atmosphäre der Szenerie auch im Sinne einer symbolischen Aussage als Arbeitsumfeld zu schildern. Passantinnen und Passanten drängeln sich entlang des Bauzauns und der Bretterwand, welche die Baustelle von den Hochhäusern scheidet. Im Zentrum ist eine junge, modisch gekleidete Frau mit Säugling zu sehen, die sich mit einem Bauarbeiter unterhält, der aus einer Art Maschinenhalle oder dem Führerstand eines Krans zu treten scheint. Ein einzelnes Schaf blickt die junge Mutter an. Demnach handelt es sich um hierbei eindeutig um die Heilige Familie. Neben diesem Figurenpaar stehen links eine Schwangere und ein Mann mit Rucksack, die als Reisende aufscheinen sowie hinter einem brusthohen Absperrgitter ein Vater, der seinen Jungen auf den Armen trägt; dieser ist ebenfalls als Reisender zu verstehen, jedoch nicht freiwillig unterwegs, sondern als Geflüchteter. Rechts neben dem zentralen Figurenpaar sitzt auf dem Boden inmitten eines Plastiktüten-Wirrwarrs und herumliegenden Mülls ein älterer Straßenmusiker, der unschwer als Keith Richards (*1943) ,Gitarrist der britischen Rockband „The Rolling Stones“ zu erkennen ist. Eine dezent gekleidete Frau in gesetzterem Alter schreitet an ihm vorüber. Sie trägt Einkaufstüten in ihrer rechten Hand, während hinter ihr eine jüngere, sportlich Gekleidete mit einem Smartphone am Ohr und Shopping Bag am linken Handgelenk schlendert. Ein mit einer weiße Latzhose bekleideter Geflügelter, den Bannwarth nach dem Vorbild eines mit ihm befreundeten Schreiners schuf, schaut als skeptisch dreinblickender Engel vom Dach eines Baucontainers am rechten Bildrand auf diese Szene. Dieser Figur passt gut ins Bild, da sie aufgrund ihrer Miniflügelchen nicht auf den ersten Blick als Himmelsbote erkennbar ist, sondern auch als Bauhandwerker durchgeht. Aus dem mit den Parolen „Gier frisst Hirn“ und „Ich war fremd und ihr habt mich … abgeschoben!!“ versehenen Baucontainer, blicken Ochs und Esel heraus. Am linken Bildrand steht vor einer mit Graffiti besprühten Holzwand die Figurationen eines Fans des Fußballvereins „Fußball-Club Bayern, München e. V.“, besser bekannt als „Bayern München“ oder „FC Bayern“. Das Graffiti zeigt ein Abbild des Allmächtigen vor dem Vereinslogo und dem Schriftzug „Das Triple ist die neue Dreifaltigkeit“. Neben dem Fußballfan ist der aktuelle bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder in entspannter, lässiger Haltung platziert. Das Graffiti hinter ihm bezieht sich auf dessen Politik während der Corona-Krise 2020/23.

Bannwarths Baustellenkrippe besitzt die Ästhetik eines dreidimensionalen Comicstrips. In der Ausführung oszilliert sein Werk zwischen traditionellem Kunsthandwerk und moderner Formsprache und Stilistik. Sein inhaltliches Konzept fokussiert auf die Betonung sozial- und gesellschaftskritischer Zwischentöne, die sich für ihn aus Grundmotiven der biblischen Überlieferung der Weihnachtsgeschichte geradezu ableiten. Thematische Fokussierungen seinerseits stellen die Abwendung eines zunehmenden Teils der Bevölkerung von der christlichen Religion und deren Inhalten, zwischenmenschliche und gruppenweise Entsolidarisierung und Egoismus, Kommerzialisierung und Medialisierung aller Gesellschaftsbereiche, Konsumkritik, aktuelle gesellschaftliche Krisen und Fremdenfeindlichkeit dar. Dass er hiermit thematisch nicht überkreuz mit dem katholischen Zeitgeist liegt, verdeutlichen namhafte Würdigungen für seine Krippenbilder wie der Bischof-Heinrich-Tenhumberg-Preis im Jahr 2018 in Telgte oder der Krippenpreis des Bistums Münster im Jahr 2022. Mit seinen Krippen ist Bannwarth in zahlreichen Museen bundesweit vertreten, darunter die Landesmuseen in Karlsruhe und Stuttgart oder im Bayerischen Nationalmuseum, wo sein bislang größtes und figurenreichstes Ensemble Aufnahme in die weltbekannte Sammlung fand.

Rudi Bannwarths konzeptioneller Zugang zum Thema Weihnachtkrippe gründet einerseits auf seinem feinen Gespür für aktuelle gesellschaftliche Themen und dem Wunsch, diese Themen im Andachtsbild Krippe allgemein verständlich und dabei Emotionen weckend mit bildhauerischen Mitteln gestalterisch umzusetzen. Hierbei verliert er nicht den Blick auf die richtungsweisenden Kernaussagen der Weihnachtsgeschichte, die für ihn als spirituellen Menschen, als gläubigen Katholiken, gleichfalls ein grundsätzliches Statement zu diesen Themen enthalten. Er selbst bezeichnet seine Krippen als gewollt niederschwellig „sozialkritisch erfahrbare“ Arbeiten, mit denen er auch gestalterische Anregungen geben möchte, um die traditionelle Handwerkskunst in eine modere Formsprache zu übersetzen und motivisch in Richtung moderner Narrative weiterzuentwickeln. Der Holzschnitzer Bannwarth widmet sich den klassischen Krippentypen der Kulissenkrippe und der Kastenkrippe, wobei seine kleinformatigen Kastenkrippen bislang eine größere Verbreitung gefunden haben.

Rudi Bannwarth hält den Betrachtenden mit solchen berührenden, aber auch als eindeutige individuelle Stellungnahmen eines Christen gemeinte Krippenbildern einen Spiegel vor Augen. Er möchte nicht mit erhobenem Zeigefinger belehren oder provozieren, sondern aufmerksam machen. Gerade mit seinem an moderne Bild- und Sehgewohnheiten angelehnten Gestaltungsansatz scheint es ihm zu gelingen, auch solche Menschen zum Krippenschauen zu veranlassen, die keinen Blick mehr für traditionelle Krippenbilder haben oder mit abstrakten Kunstwerken nichts anfangen können. Ihm geht es um die möglichst niederschwellige Botschaft in modernem Gewand, um auf den eigentlichen Sinn des Weihnachtsfestes aufmerksam zu machen – die Zukunft wir zeigen, mit welchen originellen Bildfindungen er als nächstes aufwartet.

Lit. Thomas Schindler, Rudolf Bannwarth. Baustellenkrippe, in: Bayerisches Nationalmuseum. Jahresbericht 2019–2021, herausgegeben von Frank Matthias Kammel, München 2023, S. 114–115. – Thomas Schindler, Rudolf Bannwarth. Baustellenkrippe, in: Münchener Jahrbuch für Bildende Kunst, Dritte Folge, Band LXXII, herausgegeben von des Staatlichen Kunstsammlungen und dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, München 2021, S. 154.

Konsumkrippe

Bayerisches Nationalmuseum

Kastenkrippen werden in Bayern als Faulenzerkrippen bezeichnet, weil sie nicht jedes Jahr von neuem aufgebaut werden müssen, sondern stets das gleiche, vom Krippenbauer arrangierte thematische Ensemble zeigen. In aller Regel bestehen die Gehäuse von Kastenkrippen aus einem einfachen Holzbrett als Boden, einem hölzernen Kastenaufbau oder einem Glassturz – sie dienen dem Schutz des Krippenbildes und zur innenseitige Befestigung von Krippenbestandteilen. Bei Rudi Bannwarths „Konsumkrippe“ ist dies anders. Die Szene seiner – platzbedingt – mit fünf rund 15 bis 25 cm großen Figuren innen und zwei 25 cm großen Figuren außen bevölkerten Kastenkrippe spielt in den entkernten Gehäuse eines kleinen Röhrenfernsehgeräts der Marke „Orion“. Das Gehäuse dient ihm nur bedingt als Schutz des Figurenensembles, es ist ein materieller Verweis auf die Medialität unserer Wahrnehmung, die alle (un-)denkbaren Geschehnisse ständig zunehmend in Bildschirmformaten und Bildschirminformationen reflektiert.

Innerhalb des Fernsehgeräts lenkt Bannwarth den Blick auf eine thematische Sequenz, die wie ein Standbild eine bestimmte Erzählung aus einem durch die Betrachtenden hinzuzudenkenden Handlungsstrang ‚einfriert‘. Die im Jahr 2018 entstandene Konsumkrippe fängt einen Moment während der Bescherung ‚unter dem Christbaum‘ ein, wie sie überall in Deutschland stattfinden kann. Die Betrachterinnen und Betrachter blicken in eine Wohnzimmerecke mit Sessel und Couch, in dem eine bereits etwas ältlich wirkende, korpulente Mutter mit ausdruckloser Mimik und ein leicht angejahrter Vater mit geschlossenen Augen auf ihrer Couchgarnitur sitzen. Um welches Buch es sich bei dem Exemplar handelt, das der eventuell schlafende Vater in seinen vor dem runden Bauch gefalteten Händen hält, ist unklar. Ist es die Bibel? Hatte er vor, daraus vorzulesen und tut es nun doch nicht? Oder wollte er sich ob des erwarteten Festablaufs mit ablenkender Lektüre versehen haben?

Beide Elternteile personifizieren geradezu Teilnahmslosigkeit. Überall stapeln sich zwar verpackte Geschenke und Alkoholflaschen. Doch wirkt es nicht so, dass diese ausgepackt werden wollen. Von wem auch? Die Eltern jedenfalls nehmen nicht offenkundig Kenntnis davon, dass ihr etwas dicklicher Sohn im Teenageralter eine für ihn bestimmte Gabe, einen kleinen Bildschirm oder ein Tablett, wie eine Trophäe in die Höhe hält. Er hat wohl bekommen, was er sich wünschte – ein Gerät, das ihn eher einsamer macht, als es ihm Anteil am Leben anderer Menschen ermöglicht. Weihnachten ist in diesem Krippenbild zum überzeichnet-spießig-emotionslosen, kommunikationsarmen und langweilig unwichtigen Miteinander geraten; anders formuliert, kommt den Betrachterinnen und Betrachtern unweigerlich das triste Klischee einer wohl selbst allzu oft erlebten Bescherungsfeier à la „Weihnachten bei den Hoppenstedts“ in den Sinn. Dieser Parodie auf ein ‚Typisch‘ westdeutsches Weihnachtsfest erdachte sich der unter seinem Künstlernamen Loriot unvergessene Bernhard-Victor Christoph-Carl von Bülows (1923–2011) bereits im Jahr 1978. Ging es Loriot um eine humorig verpackte Konsumkritik, fürchtet Bannwarth um den völligen Verlust der religiösen Grundlagen des Fests.

An den Wänden des Wohnzimmers prangen deshalb die programmatischen Sprüche „MY PERSON FIRST“, „SKY“, „SALE“, „XMAS“ und „BILD AM SONNTAG / BILDUNG IST LÄNDERSACHE“, die Bannwarths eigene Kommentierung der Szene in Schlagworte gekleidet bündeln: Egoismus anstatt Solidarität, statt entlang der christlichen Werte und Traditionen zelebriert zu werden, läuft das Weihnachtsfest Gefahr beliebiger Gegenstand einer ungezügelte Medien- und Konsumkultur zu werden, flankiert durch ein Bräuche und Traditionen negierendes internationales Marketing. Während sich der Esel hierüber zu amüsieren scheint, wirkt das Antlitz des Ochsen nachdenklich.

Erst auf den zweiten Blick nehmen die Betrachterinnen und Betrachter wahr, dass außerhalb des Hauses mit der dominierenden Wohnzimmerszene ein deutlich jüngeres Pärchen im Freien steht, womöglich auf einem Gehweg, jedenfalls nur wenige Meter entfernt von dem tragikomischen Weihnachtsgeschehen. Die Frau und der Mann tragen warme, wasserdichte Kleidung, sie sind offenbar Wind und Wetter ausgesetzt. In den Armen der Frau liegt ein gewickelter Säugling. Rechts neben ihr blickt ein Lämmchen zu ihr hinauf. Demnach handelt es sich um die Heilige Familie, die hier abseits des Hauptgeschehens, buchstäblich unscheinbar und doch Teil des Geschehens ist. Im Unterschied zu der Familie bei der Bescherung wirken Maria und Josef ihren Gesichtsausdrücken nach zu folgern glücklich. Rudi Bannwarth schildert also zwei ähnlich zusammengesetzte Familien, aus deren gegensätzlichen Weihnachtserleben für bei Betrachtenden unweigerlich ein Spannungsbogen ergibt.

Dieser bekommt zusätzliche Kontur durch die beiden Engel auf dem Dach des Kastens, die fassungslos aufgrund der zur Schau gestellten Ignoranz bei der Bescherungsfeier in Richtung der Betrachtenden blicken. Die Funktion der beiden Engel auf dem Deckel des Fernsehergehäuses scheint klar zu sein. Sie beobachten das Geschehen von erhöhter Warte aus. Während einer der Engel eine Hand vor seine Augen hält, um sich des traurigen Anblicks zu verschließen, hat der andere Engel seine Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben. Beide Engel besitzen mit ihren das für Bannwarthsche Himmelsboten typische Erscheinungsbild von Handwerkern, die weiße Latzhosen tragen. Neben den Engeln hat der Schweifstern in den Gehäusedeckel eingeschlagen. Der Künstler scheint die Betrachterinnen und Betrachter damit auffordern zu wollen, dem himmlischen Licht zu folgen, sich erleuchten zu lassen. Er ermutigt, zu hinterfragen worin die eigentliche Botschaft des Weihnachtsfestes führt.

Lit. Anja Schöne (Hrsg.), Auf der Suche nach dem Licht der Welt. Katalog der 79. Telgter Krippenausstellung vom 9. November 2019 bis 26. Januar 2020, Telgte 2019, der S. 23, Kat.Nr. 17 Konsumkrippe im Fernseher.

Museum Religio: Preisträgerinnen und Preisträger für den Krippenpreis des Bistums Münster

Pressemitteilung

An der 82. Telgter Krippenausstellung, die den Titel „Mittendrin“ trägt, haben sich 124 Künstlerinnen und Künstler beteiligt. Neun wurden nun von einer Jury für den Krippenpreis des Bistums Münster bestimmt, der letzte Preis durch ein Publikumsvotum ermittelt. Die ersten drei Preise gehen an Kindergruppen, den Kindergartens St. Cyriakus aus Weeze mit der Krippe „Mittendrin – Jesus kommt mitten in unsre Welt“, die Arbeit „Der neue Schüler – mitten unter uns“ von die Klasse 3b der Marienschule in Telgte sowie das Gemeinschaftswerk „Weihnachten verbindet“ der Konfirmandengruppe der Ev.-Luth. Kirchengemeinde in Kamen-Methler.

Fünf Preise werden am 22. Januar im Rahmen einer Feierstunde an einzelne Künstlerinnen und Künstler vergeben. Malte Tillmann aus Telgte schuf 2022 das Mandala-Wandbild mit geschnitzter Heiliger Familie unter dem Titel „Mittendrin“. Alex Furtmann benötigte fast ein Jahr, bis er die 23-teilige Lebensgeschichte Jesu fertiggestellt hatte. Die Arbeit heißt „Jesus 6. Geburtstag“ und ist mit einer fiktiven Geschichte verbunden, die Furtmann selbst geschrieben hat. Das Material, Kupfer und Holz, stammt aus der abgerissenen Herz-Jesu-Kirche in Bocholt. „Mitten in der Stadt werdet ihr IHN finden“ heißt die Arbeit des Architekten Wilfried Josef Funke aus Duisburg. Er schuf ein Architekturmodell mit der Krippe mitten in der Stadt. Franz Klein-Wiele aus Bottrop fertigte eine Rauminstallation mit Krippenfiguren, die sich um die Achse drehen lassen. Die durchgefärbten schwarzen MDF-Platten erzeugen den Eindruck eines Scherenschnittes. Eine sozialkritische Arbeit ist die „Knastkrippe: Jesus mittendrin“ von Rudi Bannwarth aus Ettlingen bei Karlsruhe. Maria ist eine junge Frau mit Jeansjacke, die ihren Verlobten Josef mit ihrem Kind im Gefängnis besucht. Jesus ist auch an solch unwirtlichen Orten – so die Botschaft.

Prämiert wird auch die Rauminstallation „Schöpfung unter Spannung“ der Gruppe tx 02. Hinter dem Kürzel verbirgt sich eine Gruppe von international und national arbeitenden Künstlerinnen und Künstler. Im Zentrum des Raumes steht die angestrahlte Krippe von Hermann Reinken aus Bösel, die mit Tunscheren aus gelocktem Holz gefertigt wurde. Sie ist mit Garn kuppelartig umsponnen. Textile Banner verweisen auf das Thema „Waldsterben“. Göttliche Schöpfung und menschliche Zerstörung dieser Schöpfung bilden hier den Gegensatz.

Den Publikumspreis erhält zum zweiten Mal der Diplom-Designer Jens Henning mit seinem Werk „Schicksal“: Ein monumentales Kreuz wirft seinen Schatten auf eine kleine Krippe in einer Nussschale. Aus dieser scheint ein Licht, welches ebenfalls einen Schatten wirft. Dieser Schatten bildet eine Dornenkrone. 2300 Besucherinnen und Besucher haben ein Votum abgegeben. 146 stimmten für das Werk von Jens Henning. Die Arbeiten können noch bis zum 22. Januar 2023 besichtigt werden.

www.museum-religio.de

Europäischer Gestaltungspreis für Holzbildhauer 2022

„Ich bin bereit! Morgen kann kommen.“

Holz ist Holz. Was Holzbildhauer aus dem wertvollen Naturstoff machen, das ist Kunst. Beim Europäischen Gestaltungswettbewerb für Holzbildhauer zeigten 50 Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa ihre Werke. Das Thema „Neugierig auf morgen“ könnte nicht aktueller sein.

Als Rudi Bannwarth 2021 seine Holzarbeit für den Europäischen Gestaltungspreis für Holzbildhauer fertigstellt, mag er an die pandemiegebeutelte Jugend gedacht haben. Jetzt, 2022, bekommt das Werk des Preisträgers einen brisanten Dreh. Ein junges Mädchen, das sich in der Entwicklung zur Frau befindet, steht aufrecht mit klarem Blick in lässiger Pose mit Jeans und Sneaker vor einem knallgelben Sonnenball. Ihre linke Hand, die sie zum „Peace“-Zeichen hebt – ein elektrisierender Moment. „Das Werk trifft unglaublich gut die Stimmung eines jungen Mädchens auf der Schwelle zum Erwachsenwerden“, zitiert Landesinnungsmeister der Landesinnung der Holzbildhauer Baden-Württemberg Martin Schonhardt bei der Preisverleihung das Resümee der Jury. Der erste Preis des diesjährigen Wettbewerbs proklamiert aber gleichzeitig auch einen wünschenswerten Soll-Zustand. „Ich bin bereit! Morgen kann kommen“ – das ist die Message, die das Mädchen in die Welt trägt. Die Welt kann es brauchen. Alle drei Jahre findet der Wettbewerb statt. Mehr als 80 Künstler aus Deutschland, Österreich, Italien, Bulgarien und Litauen hatten sich in diesem Jahr beworben. Zwischen den beiden Wettbewerben 2019 und 2022 liegt eine Pandemie, die die Welt aus den Angeln hob. Umso aktueller der Wettbewerbsfokus unter dem Titel „Neugierig auf morgen“.

Hoffnung auf ein dauerhaftes Gleichgewicht

Wie viel Zuversicht von der wenig lebensbejahenden Farbe Schwarz ausgehen kann, zeigt die makellos glänzende Arbeit von Daniela Schwarz (Klipphausen), die mit einer finalen Hartwachsschicht überzogen wurde. Das scheint auch der Jury gefallen zu haben. „Von einer kraftvoll emporstrebenden Basis mit Hilfe von unterschiedlichen Windungen, Einfühlungsvermögen und Rücksichtnahme können vorhandene Ungleichgewichte ausgeglichen werden und ein stabiles und dauerhaftes Gleichgewicht kann wieder einkehren“, so das Statement der Holz- und Steinbildhauerin, die den 2. Preis bekam.

Das Mädchen „Frieda“, aus dem Holz einer mehrere hundert Jahre alten Mooreiche gefertigt, steht im Badeanzug mit geschlossenen Augen da und verschmilzt in einem kontemplativen Moment mit ihrem hölzernen Schwimmring. Die Arbeit von Maria Boldt-Schwarz bekam den dritten Preis. Neben den drei Profi-Preisen wurden ebenfalls drei Nachwuchspreise verliehen.

„Bei aller Neugier auf das Morgen sollte man das Gestern nicht vergessen“, sagt Danny Reinhold (Lichtenstein), dessen Arbeit aus einer 100-jährigen Eiche geschnitzt wurde. Ein Kuss erweckt den Kopf von Isa Schieche (Wien) zum Leben und wird so gleichzeitig zum Instrument. Eine augenzwinkernde Anregung, regionale und saisonale Produkte zu konsumieren, gibt der „Gemüsekopf“ von Paul Schneider (Platz 2 Nachwuchspreis), der saftig-grünen Lauch und Fenchel in einer Art Fascinator extravagant auf einem Kopf arrangiert. Speer und Astronautenhelm, wie passt das zusammen? Hannes Mussner (erster Nachwuchspreis für „Es wurde Licht“) setzt sich mit seiner speertragenden Holzfigur mit futuristischem Kopfschutz auf diese Weise mit Vergangenheit und den großen Fragen der Zukunft auseinander.

„Optische und handwerkliche Leckerbissen“

Als “optischen und handwerklichen Leckerbissen“ pries Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder die Ausstellung bei der Eröffnung im Karlsruher Regierungspräsidium an, die den Künstlerinnen und Künstlern gute Publicity für ihre Arbeit bietet. Die können sie auch gut gebrauchen, denn das achttausend Jahre alte Handwerk verschwindet als Berufszweig mehr und mehr. „Neugierig auf morgen“– das ist im Kontext der Arbeiten ein positiver Blick in die Zukunft des Handwerks. Darüber hinaus„trägt der Gestaltungspreis dazu bei, die Wertschätzung für den nachwachsenden Rohstoff Holz zu steigern“, so Dr. Patrick Rapp, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg bei seiner Laudatio. „Ein Wettbewerb wie der Europäische Gestaltungspreis ist für das Handwerk insgesamt von großer Bedeutung“, betont er. „Kreativität und Individualität bei der Produktgestaltung sind nicht nur in der Holzbildhauerei wichtig – sie sind in zahlreichen Handwerksbranchen zentrale Erfolgsfaktoren, um auch künftig wettbewerbsfähig zu bleiben.“

Nofretete als Shopping-Queen, ein hölzernes Tassenorakel oder ein winkender Raketenmann. Nachdenkliches, Optimistisches, Ästhetisches. Ungewissheit, Zuversicht und Zukunftsträumereien. Suchende, Findende und Hoffende. Künstliche Intelligenz, Klimawandel oder die Hoffnung auf eine gute Zukunft. Eine Erkenntnis zieht sich durchgängig durch die ungewöhnlichen Holzarbeiten aus verschiedenen Ecken des Kontinents: Neugier ist ein ideelles Grundgut, von dem man in diesen Zeiten gar nicht genug haben kann.

Ariane Lindemann

Zu sehen sind alle 50 Werke des Wettbewerbes „NEUGIERIG AUF MORGEN“ in den Ausstellungsräumen des Regierungspräsidium Karlsruhe noch bis zum 1. Mai 2022. Danach sind die Arbeiten im Museum Schloss Rochsburg in Sachsen sowie in der Landesvertretung Baden-Württembergs in Brüssel zu sehen.